PRESSESTIMMEN

Zentral ist in dieser Figurenkonstellation der Antagonismus von Clown und Sokrates als Vertreter zweier Wissensformen, einer spielerisch-ästhetischen und einer rationalen. Diese Opposition kann als Selbstautorisierung und Poetik des Textes gelesen werden, der Erkenntnis auf das ästhetische Bewusstseinseinsspiel im leeren Raum zurückführt.
Zum Schluss des Stückes wird die zentrale Landschaftschiffre zu einem paradoxen Hybrid verdichtet, das Fortschritt und Linearität erneut dementiert. [...] Auch die Fabel ist zirkulär angelegt, wenn die Figuren überlegen, ob sie ihre Gesellschaftsspiele noch einmal von vorne beginnen lassen. Die Zitationsstruktur des Stückes, die Evokation eines metatheatralen Ortes bzw. einer Fläche ohne Richtungen kündigen den verordneten Fortschrittsmythos auf und evozieren einen Raum des Potenziellen. An die Stelle von zielgerichteter Bewegung treten in Kroitzschs Die Busgesellschaft die Wüste und das Meer als richtungslose (Spiel-)Flächen (auf dem Theater), als Freiraum jenseits eines dialektischen Fortschreitens.

Franziska Schössler MEER UND WÜSTE: REISEN UND LANDSCHAFTEN IN DER DDR-DRAMATIK DER 1980ER JAHRE; in: REISELITERATUR DER DDR,
Bestandsaufnahmen und Modellanalysen, Paderborn 2016

 
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Das karnevaleske Lachen des Mittelalters und der Renaissance, mit Michail Bachtin gelesen als vitalistische Revolte gegen den Tod und staatliche Ordnung(-ssysteme), als Verlachen der (unabänderlichen) Zustände, wird in Thermidor aufgerufen. Und doch ist das zuvor erläuterte Element des Tragischen nicht verloren, sondern aufgehoben in der Bachtin’schen Lesart, nach der das Lachen in der Literatur auch ein „reduziertes“ sein, d.h. eine gewisse Düsterkeit enthalten kann. Im ohnmächtigen, doch auch befreienden karnevalistischen (Ver-)Lachen könne eine inoffizielle, widerständige Gegenkultur eine zeitlich begrenzte utopische Freiheit leben. Das „karnevalistische Weltempfinden“, das Spirituelles auf unkontrollierbares Leiblich-Vitales (z.B. Sexualität) reduziere, das dem Geordneten, Geheiligten das Chaotische entgegensetze, opponiere immer auch gegen auf Regeln aufbauende Macht und Herrschaft; die Groteske eröffne die Möglichkeit einer „anderen Weltordnung, eines anderen Lebens“.
Kroitzsch schreibt aus einer historischen Position heraus, in der sich die Geschichte längst ein weiteres Mal wiederholt hat, in den sozialistischen Experimenten des 20. Jahrhunderts. [...]
Seinem inhaltlichen Anspruch, der intellektuell-kritischen Grundhaltung korrespondieren eine auf die Herausarbeitung und Zuspitzung von Konflikten gerichtete Dramaturgie sowie eine knappe, spröde, syntaktisch einfache und doch semantisch komplexe Sprache, die mit Kalauern und Bonmots aufgelockert wird.
Diese Stücke erscheinen als komplexe, im positiven Sinne artifizielle Theaterliteratur, obwohl sie zugleich vor greifbaren Spielvorlagen nur so strotzen.

Janine Ludwig „MEIN DRAMA FINDET NICHT MEHR STATT“ – OSTDEUTSCHE DRAMATIK HEUTE. ÜBERBLICK UND FALLBEISPIEL IGOR KROITZSCH; in: IM OSTEN GEHT DIE SONNE AUF?,
Tendenzen neuerer ostdeutscher Literatur, Würzburg 2015

 
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Doch auch der derzeit an den Theatern grassierende Hang zur Jugendlichkeit, gepaart mit einem Uraufführungswettlauf, der den dramatischen Text vollständig vernachlässigt, widerspricht den Prinzipien und Prämissen der ehemaligen DDR-Dramatik, ja denjenigen von Dramatik überhaupt, fundamental. Weder eignen sich die Stücke für den auf Massenproduktion abgestellten zeitgenössischen Theaterbetrieb, noch lassen sich ihre Autoren wie die aller Orten beworbenen dynamischen Jungdramatiker vermarkten. Die mit dieser Entwicklung verbundene Ignoranz der Theater hat nicht zuletzt bei Berg und Schütz zu einer vollständigen Enttäuschung der beruflichen Erwartungen geführt. „Hätt' ich nie geschrieben, um manch' blasse Hoffnung wär ich reicher!“ – dieses Kryptozitat aus Hölderlins Hyperion legt der – übrigens so gut wie ungespielte – Dramatiker mit DDR-Sozialisation Igor Kroitzsch [...] dem gescheiterten, gegen die geistige Umnachtung kämpfenden Scardanelli in seinem Drama Tübingen Blick (2003) in den Mund. Im Hinblick auf das Schicksal der DDR-Dramatik nach 1989 entfaltet diese Sentenz, mit einigen wenigen Ausnahmen, eine gespenstische Bedeutung. Als Kommentar zur Entwicklung ihrer Rezeption macht sie zudem auf die traurige Situation des deutschen Theaters aufmerksam, das sich vom eigentlichen Zentrum des Dramatischen, dem Text und seinem poetischen Raum, immer mehr zu verabschieden scheint.

Mirjam Meuser, „HÄTT' ICH NIE GESCHRIEBEN, UM MANCH' BLASSE HOFFNUNG WÄR ICH REICHER!“ – DER VERBLEIB DER DDR-DRAMATIK NACH 1989/90, in: „DIE MAUER WURDE WIE NEBENBEI EINGERISSEN“,
Zur Literatur in Deutschland und Mittelosteuropa nach 1989/90, Berlin 2012

 
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Und von leichter, anregender Ironie ist denn auch die Uraufführung von Igor Kroitzschs sozialem Drama Ernst. Der Krüppel Ernst (er erinnert bei den Stationen, die er durchläuft, an Ernst Tollers “Hinkemann”) sucht einen Job. Er bietet sich jedem an, einem Spekulanten, einem Wirt, einer Hure. Schließlich verkauft er seine Niere und sein Blut und kehrt zu Frau und Kind mit einem Hundeknochen zurück. Der Mensch - ein armer, blessierter Köter.
Kroitzschs Stück passt zu Deutschland in Zeiten von Hartz IV. Unaufdringlich, nur zeigend und symbolisch andeutend, markiert der Autor die herrschende Hoffnungslosigkeit. An keiner Stelle fällt ein anklagender Ton.
 

Szenenfoto aus ERNST
Gleichermaßen entspannt bis absurd hat Regisseur Uwe Schmieder seine überzeugende Inszenierung angelegt. Grell geschminkt bespielen die Darsteller den ganzen Hinterhof des Theaters, der Priester predigt vom Dach, der Getreide-Spekulant will sich aus dem Fenster stürzen und eine monströse Schlagersängerin unterhält uns in Zwischenszenen. Am Ende dann eine groteske Oper, die den ernsten Helden abfeiert. So stark wie unterhaltsam hat man das Ensemble des Orphtheaters lange nicht mehr gesehen. Bravo und vielen Dank für dieses Wahlkampfgeschenk! 

Axel Schalk, ABSURDES SCHAUSPIEL, Zitty 18/2005

 
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Als Schauspieler derzeit glänzend das subjektiv Böse mit Jago in »being Othello« im Hexenkessel-Hoftheater im Monbijoupark verkörpernd, widmet Schmieder sich im eigenen Hause zusammen mit NNU (Neuer Notwendiger Untergrund) als Regisseur dem gesellschaftlich Finsteren und brachte »ERNST« von Igor Kroitzsch mit 14 Akteuren zur Uraufführung. Sich auf Kroitzsch einzulassen, bedeutet Unbequemlichkeit. Der Dramatiker stellt nichts anheim, er stellt infrage. Die Realität erklärt er zum Kuriosum. Und man stellt fest, sie ist es längst. Dem Publikum misslingt also die ablenkende Flucht ins Theater. Lockeres Amüsement gibt's woanders.

Almut Schröter, »JE T'AIME«, DASS DER HUND AUFHEULT, Neues Deutschland, 2. August 2005

 
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In seiner Theaterinszenierung verlagert Uwe Schmieder den pessimistischen Ton des Textes ins Groteske. Das Elend der ständig scheiternden Hauptfigur wird persifliert, die Bemühungen eines mittellosen Bettlers überhöht Schmieder zu einem Spießrutenlauf, zur Parabel auf die vergebliche Jobsuche eines Hartz-IV-Empfängers. Das fiktive, aber doch sehr platte Unglück von Ernst bricht Schmieder mit einer hyperbrutalen Realität, die den Boden zu einem doppelten werden lässt: Ein Mann hat sich aus Geldnot in die Luft gesprengt, steht in der Zeitung. Dann stöckelt ein blondperücktes Schlagersternchen aufs Podest und schmachtet über Sehnsucht und Liebe ins Mikro, woraufhin ein Prediger im Takt von Punk rockt, zwei Krankenschwestern sich um den Stich in den Arm des Blutspenders prügeln und ein Gogo-Girl über den Sinn des Kosmos grübelt.

Maria Krausch, MAN MEINT ES ERNST, die tageszeitung, 3. August 2005

 

Szenenfoto aus ERNST
 
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Die verwendeten Motive scheinen einer nächtlichen Traumwelt zu entspringen, Mystik vermengt sich mit lebensrealer Dramatik - das stets immanent Groteske überhöht lediglich die wirklichen Zustände der Gegenwart.
Den Stoff für die Assoziationen, aus denen das Gespann seine gedanklichen Konstruktionen baut, liefern junge Geschichte, politische Missstände und Dinge, über die konventionell erst dann nachgedacht wird, wenn sie vor der Tür stehen. In Kroitzschs Texten wird ausgesprochen, was als Tabu oftmals verschwiegen wird. In einem probiert er sich in der Identifizierung mit einem Flugzeugentführer des 11. Septembers. “Ich reiste, um Gott zu treffen”, heißt es da. Der Raum der gedachten Handlung wird endlos. Was zur Hälfte Verängstigung auslöst, scheint auf der anderen Seite völlig normal und altbekannt, der Mensch mutiert zu einem Wesen, das unwillkürlich zu allem fähig ist - eine These, die freilich nicht gerne angenommen wird, minimiert sie doch das menschliche Wesen auf die Ebene des tierweltlichen Bewusstseins.”

Maja Starke, COUNTDOWN FÜR DIE “PILGERFAHRT INS EIGENE ICH”, Märkische Allgemeine, 29. Oktober 2002

 
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Viele Aspekte der Institution “Theater” werden in diesem Stück aufgerollt und durchdiskutiert, eine sinnliche, körperhafte, angst- und schmerzvolle Auseinandersetzung um Schein, Wirklichkeit, Lüge und Wahrheit, um die Möglichkeiten des Lebens, in die auch das Publikum intensiv miteinbezogen wird. Irritationen lassen die Grenzen zwischen realem Ereignis und Bühnengeschehen verwischen, schon im Originaltext, aber auch in der Regie. Zur Verunsicherung trägt beispielsweise die inszenatorische Eigenwilligkeit bei, das Stück mit dem Ende von Becketts “Warten auf Godot” - und dem dazugehörigen Bühnenbild - beginnen zu lassen, so dass sich der Besucher gleich am Anfang fragen muss, ob er in der richtigen Vorstellung sitzt. 

Petra Noll, EIN EXPERIMENT MIT DEM “ANDEREN” THEATER, Passauer Neue Presse, 1. Oktober 2001

 
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Ein Drama gehört auf die Bühne, und wenn's gelesen wird, gibt es zwei Möglichkeiten: die verschiedenen Rollen durch Verlagerung der Stimme auszudrücken oder aber den Text vergleichsweise gleichförmig vorzutragen, als sei's ein Stück Prosa. Beides birgt die Gefahr, von den Zuhörern unangemessen aufgenommen zu werden. Der Autor Igor Kroitzsch, 1960 in Potsdam geboren und derzeit Literaturstipendiat im Stuttgarter Schriftstellerhäusle, fand eine dritte Art: Mit einer sehr ruhigen Sprechweise, gedehnt durch dramaturgische Pausen und eindringliche Blicke ins Publikum, erzeugte er eine Spannung, der sich keiner der Gäste entziehen konnte. [...]
In der anschließenden Diskussion war man sich einig, daß soziale Themen derzeit keinen Spitzenplatz auf der allgemeinen Interessenskala einnehmen. Der Autor sah sich denn auch in der Tradition, Gegentexte zu veröffentlichen, um öffentlich Ausgeblendetes sichtbar zu machen. Weiter wurde versucht, das Gehörte literarisch zwischen Büchner, Brecht und Heiner Müller einzuordnen. Vielleicht aber steht dem hochsensiblen Igor Kroitzsch ja ein eigener Platz in der zeitgenössischen Dramatik zu.

bwk, GEGENÖFFENTLICHKEIT, Stuttgarter Nachrichten, 19. Mai 1998

 
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Kroitzsch meint in seinem Stück einen Spiegel zu zerschlagen, auf dessen Scherben inzwischen längst kein Fuß mehr Platz hat herumzutreten. Gleichwohl ist es ihm anzurechnen, einen Spiegel seiner Zeit auf dem Theater entwerfen zu wollen, welches inzwischen dazu übergegangen zu sein scheint, in den Bücherregalen die Bestsellerlisten nach Dramatischem zu durchforsten, um mit leicht verdaulichen Wendemonologen Publikum zu ködern. Kroitzsch versucht sich an einem Welttheater und tut dies in durchaus kritischer Distanz zum Medium, mißtraut diesem und scheut sich dennoch nicht, selbst auf die Gefahr hin, sich zu überheben, alles an Deutungen und Bedeutungen in seinem Stück zu verarbeiten.

Mario Krüger, DAS ANGSTLOSE WELTTHEATER DES IGOR KROITZSCH,
in: STÜCK-WERK, Deutschsprachige Dramatik der 90er Jahre, Berlin 1997 
  

 
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Es scheint mir "grabbisch" in dem Sinn, daß es die Welt als theatrum bestiarum ansieht und Theater als Modell von Welt. Es erscheint mir "grabbisch" in seiner scheinbaren Formlosigkeit, Dialektik von Konstruktion und Dekonstruktion; das Stück ein "Kaleidoskop arrangierter Einzelbilder", die Figuren - nach einem Zitat aus dem "Napoleon" - "Bruchstücke aus vielen einzelnen Bruchstückmenschen". Es scheint mir "grabbisch" in seinen Anachronismen, seinen Paradoxien, auch seinen Kalauern. "Was tragisch ist, ist auch lustig" - belehrt Scipio den Terenz. Es scheint mir "grabbisch" bis in die dramaturgische Konstruktion: Der Masse, dem Volk, dem Pöbel - was es alles zugleich ist - ist die Figur eines "Dichters" entgegengesetzt - bei Grabbe heißt er je nach Bedarf Rattengift oder Prusias.
Es scheint mir nicht zuletzt "grabbisch" in seinem plebejischen Blick auf die Volksvertreter, dem Blick von unten auf die geschichtlichen Abläufe.

Martin Linzer, Laudatio zum Grabbe Preis 1994